Dienstag, 10. Januar 2012

Ein moderner Islam ist möglich

Das ist eines der Hauptziele der “Gülen-Bewegung”. Sie versteht sich als Brücke für “Muslime zwischen Tradition und Moderne”: Der türkisch-stämmige muslimische Gelehrte Fethullah Gülen möchte den Islam durch Bildung reformieren. Dabei ist es nicht die Erneuerung des Islam, die seine Überzeugungskraft ausmacht, sondern seine Akzeptanz der säkularen = weltlichen Gesellschaft. Folgerichtig lautet sein Aufruf an die Muslime in aller Welt: “Baut Schulen, Moscheen haben wir genug.” Das scheint ihm und seinen Anhängern islamisch und modern zugleich. Und ist vor allem völlig anders als das, was die meisten unserer Bürger vom Islam denken. Was Gülen will und was in diesem auch klar zum Ausdruck kommt, ist die Absicht, den Islam mit der modernen Welt zu verbünden. Nehmt diese Welt an, in der ihr lebt, bleibt aber Muslim, gestaltet die Welt mit, werdet ebenso erfolgreich als Muslime wie die anderen um euch herum. Damit könnten dann auch orthodoxe Muslime leben. Sie müssen kein Stück, keinen Buchstaben ihrer religiösen Überzeugung aufgeben.

Bildungsideal ist die Schule

Gülen begann seine Arbeit für mehr Bildung in der Türkei bevor er in die USA ging. Sein Bildungsideal ist übergesprungen auf viele der Türken, die in Deutschland leben. Sie haben erkannt, dass der Kernsatz von Gülen “Nur Bildung schafft Wohlstand und Frieden” richtig ist. Inzwischen gibt es “Gülen”-Schulen und -Gymnasien in Deutschland. Religionsunterricht wird dort nicht gegeben.

2009 organisierte die Gülen-Bewegung zusammen mit dem Institut für Religionswissenschaft der Universität Potsdam eine Konferenz, auf der die Arbeit der Gülen-Bewegung zur Diskussion gestellt wurde. Das Deutsche Orient Institut, das 1999 in Potsdam gegründete Rabbiner-Seminar “Abraham Geiger Kolleg” und die evangelische Akademie in Berlin waren mit von der Partie. “Muslime zwischen Tradition und Moderne. Die Gülen-Bewegung als Brücke zwischen den Kulturen” war der Titel der Tagung. Unter der gleichen Überschrift hat der Herder Verlag nun eine Auswahl der Vorträge im vorliegenden Buch veröffentlicht.

Es ist ein Band, der die Augen öffnet. Begründer Fethullah Gülen ist inzwischen der berühmteste Prediger der Türkei. Manche nennen die Bewegung “eine vom Islam inspirierte Bürgerbewegung”. Aber sie ist weder politisch noch per se religiös. Anders als Millî Görüs versteht sich die Gülen-Bewegung als überparteilich, unterstützt im Prinzip in der Türkei aber jene Parteien, die die Demokratisierung voranbringen. Wiederholt hat sich Gülen in seinen Predigten für eine funktionierende Demokratie und eine pluralistische Gesellschaft als Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben der Menschen ausgesprochen.

Die Bewegung ist nicht institutionalisiert, und sie ist nicht politisch. Sie will nicht über politische Macht eine “bessere Gesellschaft” schaffen, sondern von unten in der Gesellschaft durch Bildung und Toleranz dem Menschen dienen.

Kritisch wird es aber bei seinen Thesen, die sich um die Religion des Islam drehen. Wenn Gülen z. B. sagt, die “Frömmigkeit, nicht der Islam müsse erneuert werden”, beginne ich mich zu fragen, ob sein Wille zur Demokratie, der ja die Gleichberechtigung aller Menschen, vor allem aber auch von Mann und Frau impliziert, wirklich ernst meint.

Denn Gülen lehne die absolute Gleichstellung von Mann und Frau ab. Sein Argument: Frauen und Männer konkurrieren nicht, sie ergänzen einander und hätten daher unterschiedliche Pflichten. Doch wer in die Gülen-Schulen kommt, merkt davon nichts. Was also ist Theorie, was Praxis? Wer dieses Buch aufmerksam liest, findet die Antworten. Und vielleicht auch eine Lösung für die gesellschaftlichen Probleme zwischen der westlichen Welt und dem Islam. Gülen zeigt einen Weg auf. Ob er am Ende der einzig Gangbare ist, muss sich noch beweisen.

Quelle: http://www.european-circle.de/lesen-leute/lesen-leute-buecher/datum/2011/02/09/ein-moderner-islam-ist-moeglich.html

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