Mittwoch, 12. Oktober 2011

Welches Anti-Gülen Buch möchten Sie kaufen?

Auf dem türkischen Büchermarkt gibt es über 30 Titel die sich gegen Fethullah Gülen und der Hizmet-Bewegung richten; voll mit Verschwörungstheorien, Unterstellungen und Verleumdungen: Ohne Beweis, ohne Beleg. Warum in der Berichterstattung der deutschen Medien - in der FAZ, Spiegel, Welt und Co - über Gülen und die Hizmet Bewegung  nicht die  reichhaltige  Materialien der Selbstdarstellung aus der Bewegung, wissenschaftliche Analysen von Akademikern und Einschätzung von anerkannten Fachleuten und Intellektuellen wiederfindet, sondern auf das Propagandamaterial aus der Anti-Gülen Literatur zurückgegriffen wird, ist eine Frage die noch  seine Antwort sucht. / Von Süleyman Bağ 

In der Türkei arbeiten gerade mal ein Dutzend Korrespondenten und Redakteure für deutsche Medien. Sie haben aber einen verhältnismäßig großen Einfluss auf die deutsche Öffentlichkeit, wenn es um aktuelle Ereignisse in der Türkei geht. Als ich mich mit einem ehemaligen Chefredakteur der Berliner Zeitung über den Einfluss und der Arbeitsweise der Korrespondenten die überwiegen in Istanbul leben und arbeiten unterhielt erzählte er mir: „Die Arbeitsweise des Korrespondenten aus Istanbul der auch für uns schrieb sah folgendermaßen aus: Wenn in der Türkei etwas aktuelles Geschah legte er die Tageszeitungen Hürriyet, Cumhuriyet und Radikal vor sich hin und fasste die Berichterstattungen in diesen Zeitungen zusammen und übersetzte sie ins Deutsche.“

Als ich einen Artikel auf Spiegel Online über die Verhaftung von Nedim Şener und Ahmet Şık las, unter dem der Name des Korrespondenten stand über den wir uns unterhielten, merkte ich, dass sich an der Arbeitsweise dieses Kollegen auch nach Jahren nichts verändert hat.

Natürlich gibt es Korrespondenten und Journalisten, die aus der Türkei schreiben und wirklich gut recherchierte Artikel verfassen. Ein Beispiel hierfür war der langjährige Türkeikorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Rainer Hermann, der jetzt in Dubai lebt und über die Entwicklungen in der arabische Welt schreibt. Hermann hatte neben Islamwissenschaften auch Wirtschaftswissenschaften studiert und konnte den Veränderungsprozess in der Türkei aus der Perspektive beider Disziplinen einordnen. Er konnte zudem Türkisch und war somit nicht auf Übersetzungen von einheimischen Mitarbeitern angewiesen. In den vielen Artikeln, die Hermann im Laufe der Jahre schrieb wurden aktuelle Ereignisse und der tiefgreifende Veränderungsprozess im Lande viel besser wiedergegeben als von vielen türkischen Journalisten und Kolumnisten.


Michael Thumann von der Wochezeitung die Zeit ist ein weiterer Korrespondent, dessen Berichte und Kommentare zu einem Besseren Verständnis des Transformationsprozessen, den die Türkei durchmacht, beitragen.

Wenn man aber die vielen Berichte in den deutschen Medien liest, merkt man schnell, dass es den Korrespondenten die aus der Türkei schreiben leider nicht gelingt ein realistisches Bild wiederzugeben. Manchmal gewinnt man als Leser, der das Land und die politischen Verhältnisse kennt und beobachtet, sogar den Eindruck das Ereignisse bewusst verzerrt, falsch und negativ dargestellt werden: Es werden Einzelereignisse in Verbindung gebracht, die nichts miteinander zutun haben, die türkische politische Sprache wird aus deutscher Sicht beurteilt und daraus eine Islamisierung des Landes hergeleitet, sehr oft werden Berichte und Sichtweisen aus den main-stream Medien (insbesondere Zeitungen der Dogan Gruppe) unkritisch übernommen und es fehlt ein persönlicher Zugang zu den Themen über die geschrieben wird.

Die meisten deutschen Korrespondenten leben in westlich/elitären Milieus Istanbuls unter den „weißen Türken“. Aus diesem Milieu stammen sehr oft auch die Spezialisten und Fachleuten die sie in den Berichte zu Wort kommen lassen. Für den Veränderungsprozess im anatolischen Tiefland, dies sich in den letzten 20 Jahren immer stärker auf das politische Leben auswirkt, zeigen Sie entweder keine Interesse oder es fehlt Ihnen einfach das Verständnis dafür wie die türkische Gesellschaft tickt.

Um einen Beispiel zu nennen: Vor einigen Monaten wurde Ahmet Şık verhaftet. Der Grund seiner Verhaftung war das Manuskript für das Buch ‚Die Armee des Imams‘ in dem er die Unterwanderung des türkischen Staates durch die Gülen-Bewegung thematisierte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihn vor, dass das Buchprojekt als Gemeinschaftsprojekt in Zusammenarbeit mit dem Ergenekon Terrornetzwerk verfasst zu haben. Sofort wurde in den Berichten die Behauptung aus den türkischen main-stream Medien unkritisch wiedergegeben hinter der Verhaftung stünde die Gülen-Bewegung (Hizmet). Jedoch wurden folgende Fragen überhaupt nicht behandelt:

1. Ist das Buchmanuskript von Şık das einzige Anti-Gülen Buch oder gibt es auch andere Bücher in denen vergleichbare Verschwörungstheorien behandelt werden?

2. Gibt es außer Behauptungen und Spekulationen Beweise und Dokumente darüber, dass die Bewegung hinter der Verhaftung steht?

3. Was ist das Interesse der Bewegung an der Verhaftung, wobei im Zeitalter moderner Medien und des Internets doch unmöglich ist, die Veröffentlichung eines Buches zu verhindern. Es ist außerdem klar, dass ein derartiger Versuch noch mehr Interesse an dem Buch weckt. Warum sollte eine weltweit aktive Bewegung Anlass für eine weltweite Medienkampagne gegen sich selbst geben?

4. Was ist neu an den Behauptungen von Ahmet Şık womit belegt er seien Behauptungen? Was schreibt er, was es in den über 20 Anti-Gülen Büchern im türkischen Buchhandel nicht bereit gibt?

Die Gülen-Literatur

Die Literatur über Gülen und die Hizmet Bewegung ist sehr reich. Nicht nur Gülen selbst ist ein produktiver Autor, sondern auch viele seiner Mitstreiter wie Abdullah Aymaz veröffentlichen in regelmäßigen abständen Bucher. Wer Interesse an Gülen und der Hizmet-Bewegung hat kann über www. Herkul.org und über das mehrsprachige persönliche Homepage von Gülen www.fgulen.com sich ein eigenes Bild machen. Zudem gibt es mittlerweile unzählig viele wissenschaftliche Studien zu Person und Bewegung und auch haben sich viele Intellektuelle mit dem Phänomen auseinandergesetzt.

1) Der anerkannte türkische Soziologe und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Doğu Ergil hat über 15 Bücher geschrieben die teilweise in andere Sprachen übersetzt sind. Eines seiner Bücher beschäftigt sich mit der Gülen-Bewegungn und trägt den Titel “100 Fragen zu Fethullah Gülen und seine Bewegung”. Er hat die Bewegung über 2 Jahre beobachtet und auch mehrere Gespräche mit Gülen selbst geführt.

2) Ein anderer bekannter türkischer Soziologe ist Ali Bulaç. Bulaç ist Autor von mehr als 30 Büchern. Das Buch in dem er sich mit den sozikulturellen Faktoren die zu dem weltweiten Erfolg der Bewegung beigetragen haben, auseinandersetzt trägt den Titel Religion, Stadt und Gemeinschaft (Din, Kent ve Cemaat)

3) Der Religionsphilosoph Enes Ergene hat selbst mehrere Jahre bei Gülen studiert. Sein Buch in dem er die Bewegungen ideengeschichtlich einordnet trägt den Titel „Das Zeugnis der Tradition über die Moderne“ (Geleneğin Modern Çağa Tanıklığı). Eine Zusammenfassung ist des Buches auf deutsch ist unter dem Titel „Das Neue Gesicht des Islam – Die Bewegung um Fethullah Gülen“ erschienen.

Es gibt auch Arbeiten von vielen Wissenschaftlern und Intellektuellen aus der westlichen Welt dies sich mit der Gülen-Bewegung beschäftig haben.

1) Eines der frühesten empirischen Arbeiten über die Bewegung ist die Dissertationsarbeit von Bekim Agai. Sie trägt den Titel „Zwischen Netzwerk und Diskurs – Das Bildungsnetzwerk um Fethullan Gülen: Die flexible Umsetzung modernen islamischen Gedankenguts“

2) Das Werk der amerikanischen Religionssozilogin Helen Rose Ebaugh trägt den Titel „Die Gülen Bewegung – Soziologische Analyse einer vom Glauben motivierten zivilgesellschaftlichen Bewegung” und ist sowohl auf Türkisch als auch auf Englisch erhältlich

Die Anti-Gülen Literatur

Die Liste von Literatur von und über Gülen und über die Hizmet-Bewegung ist mit den oben genannten titeln bei weitem nicht vollständig. Aber nicht die Inhalte dieser Werke finden sich in der deutschen Berichterstattung wieder, sondern die Verschwörungstheorien aus den Anti-Gülen Literatur, von denen es reichlich auf dem türkischen Büchermarkt gibt. Der Klassiker unter den Anti Gülen Büchern stammt wohl von Hikmet Çetinkaya und der Bestseller von Hanefi Avcı. Çetinkaya ist Kolumnist der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet und hat bereits in den siebziger Jahren Anti-Gülen Texte verfasst. Da Cumhuriyet von der deutschen Fachöffentlichkeit, die sich mit der Türkei beschäftigt, als ein seriöses Intellektuellenblatt gesehen wird - was sie aber nicht ist - hat die militärnahe fundamental-laizistische Zeitung seın Kolumnist entscheidend zu der Wahrnehmung von Gülen und der Hizmet Bewegung in Deutschland einfluss gehabt.

Aus dem Feder Çetinkaya stammen folgende drei Bücher

1) Gülen, USA und Die AKP

2) Das Ferhullaci Gladio

3) Die Gänse des Barons

Auch mit drei Büchern ist Ergün Poyraz in der Anti-Gülen Literatur vertreten. Von ihm stammen die Bücher mit folgenden Titeln:

1) Von Said-i Nursi bis Demirel und Ecevit das wahre Gesicht Fethullahs

2) Die mit Blut die Gebetswaschung durchführen

3) Der Imam in der USA

Auf dem türkischen Büchermarkt gibt es über 30 Titel die sich gegen Fethullah Gülen und der Hizmet-Bewegung richten, voll mit Verschwörungstheorien, Unterstellungen und Verleumdungen: Ohne Beweis, ohne Beleg. Warum sich in der Berichterstattung in deutschen Medien - in der FAZ, Spiegel, Welt & Co - über Gülen und die Hizmet Bewegung nicht die reichhaltige Materialien der Selbstdarstellung aus der Bewegung, wissenschaftliche Analysen von Akademikern und Einschätzung von anerkannten Fachleuten und Intellektuellen wiederfindet, sondern auf das Propagandamaterial aus der Anti-Gülen Literatur zurückgegriffen wird, ist eine Frage die noch seine Antwort sucht.

Süleyman Bag

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